Dokument und Vision
Hanebeck fokussiert ihr künstlerisches Augenmerk bevorzugt auf die gebaute Umwelt; das Konstruktive; den mittels technisch-ingenieurwissenschaftlicher Leistungen wie architektonischer Visionen erschaffenen urbanen Lebensraum; den modernen Stadtkörper.
Aus- und Durchblicke auf charakteristische Details, einzelne markante Formelemente und zoomartig herausgelöste Strukturbezüge ausgesuchter Beispiele spektakulärer, international gefeierter Spitzenarchitektur stehen dabei gleichberechtigt neben Weitsichten auf größere architektonische Zusammenhänge und den stadträumlichen Kontext. Das durch den Filter der (foto-)grafischen Verfremdung aufleuchtende urbane Umfeld zeigt sich hier vor allem von seiner technisch-strukturellen Seite. Straßenfluchten ohne wirkliche Aussicht; Ausblicke auf collagehaft ineinander getürmte Gerüste, Träger, im Prozess der Fertigung befindliche Rohelemente; monumentale Gebäudekomplexe und schwindelerregend sich windende Konstruktionen, die sich verzahnen, verlaufen, ins Leere führen; Kühnheit und Kälte zur Schau stellende Gebilde mit futuristischem Elan, die piranesische Labyrinthe bilden und in denen sich die hypertroph verströmenden Liniennetze und Volumina ins Ortlose verlieren.
Ist Hanebecks projektbezogene Architekturfotografie von einem kritischen Impuls inspiriert? Wird hier eine aus den Fugen geratene Moderne vorgeführt, die vor allem eines tut: sich selbst in Szene setzen? Dieser Eindruck drängt sich zunächst auf und wird auch von der exaltierten Schönheit der Baukörper, ihrer Virtuosität und Formeleganz nicht neutralisiert. Ein Unbehagen stellt sich angesichts dieser wundersamen, visionären Formenvielfalt ein; das Gefühl des Gewaltsamen, Übermächtigen beschleicht den Betrachter insbesondere beim Anblick menschenleerer Räume, Fluren, Höfe. Vom Menschen Gemachtes scheint wie von selbst weiter zu wuchern, entfaltet eine seltsam unkontrollierte Eigendynamik, losgelöst von den Vorgaben der Verhältnismäßigkeit und Funktionalität.
Die von Hanebeck eingesetzte „Low-Key“-Lichtführung zugunsten eines den Bildraum aufsaugenden, dominierenden Schwarz lässt die leer stehenden Architekturkörper zum Teil wie Filmkulissen eines Neo-Noir auftreten. Der Mensch, so er denn nun doch auftaucht, wirkt wie ein Störfaktor, vereinzelt, verloren oder im ungeplanten Gewimmel, als Cluster. Unterkühlt betonierte Ambiente lassen anonyme Figuren wie Fremdkörper an sich abgleiten; spärliches Restlicht gibt den Blick auf eine Menschengruppe frei, im Hintergrund erheben sich schemenhaft Betonpfeiler; die den Bildausschnitt beherrschende Dunkelheit wird im nächsten Augenblick die bereits zu Chiffren abstrahierten Figurenschatten ausblenden.
Neben Strategien der abstrahierenden Verfremdung und Isolierung, sowie der desorientierenden Lichtdramaturgie lässt sich in Hanebecks Werken noch ein weiterer Kunstgriff beobachten: ein im fototechnischen Herstellungsprozess produzierter Filtereffekt, der sich in Form eines Flimmerns, einer Art fleckenhaften All-Over über die Bildfläche legt und dem Betrachter den direkten „Zugang“ zum Geschehen verweigert. Die Szenerien Hanebecks tauchen dadurch noch einmal mehr in eine verschleiert entrückte Atmosphäre ein, die rätselhaft und düster wirken kann und das Konkrete, Reale an den Grenzen der Abstraktion aufzulösen wagt. Sonderbar traumhaft wirken solche Interieurs, Treppenfluchten, Gänge, Innenhöfe, deren spannungsvolle, melancholische Poesie den Betrachter in ihren Bann ziehen.
Es sind solche geradezu malerischen Impressionen, in denen sich Hanebecks künstlerische Sensibilität und Ausdruckskraft offenbaren. Sie verleihen der in den Blick genommenen räumlichen Situation in all der spürbaren Verlassenheit eine poetische Intensität, eine Magie, die jenseits jeder dokumentarischen Schärfe und kritischen Bestandsaufnahme zum Tragen kommt und das Gesehene als geschaut attestiert. Die tiefe Schönheit und atmosphärische Dichte eines spezifischen Ortes wird nicht nur erahnt, sondern seine Identität geradezu aus der Taufe gehoben.
Somit stellt sich Hanebecks künstlerischer Ansatz als eine komplexe Form des architektonischen Porträts dar. Worum geht es? Um das Dokument oder um die das Faktische auflösende Vision? Bei genauer Betrachtung scheint sich dieser scheinbare Gegensatz jedoch aufzulösen. Immer wieder wird der Charakter einer architektonischen Idee anhand wesentlicher Details ins Blickfeld gerückt. Der die Bildmotive ins Surreale wendende Abstraktionsgrad stellt dies zunächst in den Hintergrund. Erst bei näherem Hinschauen eröffnet sich die Einsicht, dass es jenseits aller Phantastik um die Suche nach der ursprünglichen Essenz, dem eigentlichen Wesen des Bauprojekts geht. Emblematisch wird diese Strategie in der Aufnahme des Nakagin Capsule Towers von Kisho Kurokawa vorgeführt. Eines der berühmtesten Werke des japanischen Metabolismus wird innerhalb einer scheinbar spielerischen Abstraktion zur malerischen Folie. Der ultramoderne Baukörper verwandelt sich in ein kinetisches Lichtobjekt. Doch gerade diese Entkoppelung vom rein Faktischen gibt den Blick frei auf das im architektonischen Konzept angelegte skulpturale Zusammenspiel freischwebender Module und ihrer grafisch-minimalistischen Formensprache. Die in dieser Art der visionären Schau erfolgende Interpretation definiert das architektonische Porträt neu: gleichsam als Röntgenbild inhärenter Strukturprinzipien. Dokument und Vision gelangen zur Einheit.
Thomas Appel, Forum für Fotografie